„Wir müssen uns neu aufstellen”

Interview des neuen CSV-Parteipräsidenten Marc Spautz in der Revue

Der neue CSV-Präsident Marc Spautz will die Modernisierung seiner Partei fortsetzen und die Basis besser in die Entscheidungsprozesse einbinden. Erste Hürde der Christlich-Sozialen: die Europawahlen.

Die CSV schien nach dem Machtverlust wie paralysiert zu sein und nur allmählich aus ihrem Dornröschenschlaf aufzuwachen. Ist sie noch nicht in ihre Oppositionsrolle hineingewachsen?

Wir sind nicht im Domröschenschlaf, sondern dabei, unsere Gremien zu erneuern. Das fing an mit den Bezirkskongressen. Den Schlusspunkt setzte der Nationalkongress. Die CSV ist sehr wohl in der Opposition angekommen. Es war aber auch klar, dass wir uns erst mal finden mussten. Man muss auch die Regierung erst einmal hundert Tage arbeiten lassen, statt aus der Hüfte heraus zu schießen. Wir geben ihr eine Chance. Danach sehen wir weiter.

Ein Fraktionschef auf Abruf, ein langes Hadern mit dem Regierungswechsel. Ist die CSV noch nicht aufgerichtet?

Dass es Bemühungen gab, eine Dreiparteienkoalition zu bilden, war für uns schon klar. Aber es hat nicht nur Gewinner gegeben in dieser Koalition. Die Grünen haben verhältnismäßig mehr verloren als wir. Dass es dennoch zu einer Dreierkoailtion mit 32 Sitzen kam, hat uns überrascht. Andererseits weniger, wenn man hört, dass sie schon lange vor den Wahlen in drei Verhandlungsrunden die Hauptpunkte abgesteckt hatten. Die LSAP hat sich zwar nicht versteckt, aber die beiden anderen hatten sich nicht so klar ausgedrückt. Ohne das Zugeständnis der beiden anderen hätte Etienne Schneider sicher keine Kampagne mit der Aussage geführt, der nächste Premierminister zu werden.

Wie wollen Sie es als Parteichef schaffen? Wo gilt es als erstes anzupacken?

Wir sind dabei, die Europawahlen vom 25. Mai vorzubereiten. Ihnen gilt bis dahin unser Hauptaugenmerk. Am 6. und 7. März fällt auf dem EVP-Kongress die Entscheidung darüber, wer Spitzenkandidat wird. Wenn Jean-Claude Juncker es wird, wovon ich ausgehe, hat dies einen historischen Wert. Nach dem 25. Mai gilt es dann parteiintern, die Reformen voranzubringen, die wir jetzt in die Wege geleitet haben. Wir müssen uns neu aufstellen, sowohl in den modernen Kommunikationsmitteln, als auch inhaltlich, indem wir Arbeitsgruppen gründen, die sich mit verschiedenen Themen beschäftigen. Die Statuten müssen geändert werden. In Themenkongressen soll festgelegt werden, wie sich die CSV positioniert.

Also eine Modernisierung der Partei?

Die Modernisierung, die bereits eingeleitet wurde, wird fortgesetzt. Das heißt, die Gremien und die Sektionsdelegierten werden stärker in die Entscheidung miteingebunden.

Ist eine Erneuerung ohne Juncker leichter als eine mit ihm?

Nein, das sehe ich nicht so. Es gibt auch andere Beispiele, in denen große Politiker große Schatten geworfen haben und es schwer war, ihr Erbe anzutreten. Wer die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antritt, wird es nicht leicht haben. Er hat große Fußstapfen hinterlassen. Dass wir uns aber neu aufstellen müssen, gilt unabhängig davon.

Juncker muss zurzeit viel Kritik einstecken. Auch international…

Wenn man wie er politisch so aktiv ist und kein Blatt vor den Mund nimmt, dann tritt man dem einen oder anderen auf die Füße. Dass jetzt so viel Kritik kommt, überrascht mich nicht. Eher die Art und Weise der Kritik. Mir wäre es lieber, man würde sich mit den Sachthemen beschäftigen. Aber wenn in Luxemburg schon ein rauerer Wind weht, dann ist der internationale Wind noch viel kälter.

Selbstkritik war bislang nicht die Stärke der CSV. Gibt es mehr Raum dafür?

Es ist wichtig, gemeinsam mit den Bezirken, den Gemeinderäten, den Jungen und den Frauen einen anderen Meinungsbildungsprozess zu finden. Das ist eine der Hauptaufgaben des Generalsekretärs. Die Sektionen und die Bezirke müssen noch mehr gehört werden. Ich bin nicht einverstanden mit der Behauptung, es sei in der Partei nicht genügend diskutiert worden.

Heißt das auch Abschied nehmen vom paternalistischen Führungsstil?

Das ist kein paternalistischer Führungsstil. Wenn man in der Regierungsverantwortung steht, ist es schwieriger sich auf ein Parteiprogramm zu festigen. Wir hatten dafür zu sorgen, dass das Koalitionsabkommen umgesetzt wird. Jetzt ist es etwas anders. Es gilt, in den einzelnen Themen unsere Positionen deutlich zu machen und Änderungsvorschläge vorzubereiten, die sich auf das beziehen, was wir wollen, damit die Identifikation mit der CSV klarer wird. Das wird anfangs schwer sein, weil viele Gesetzesprojekte von der alten Regierung ausgearbeitet wurden. Man darf nicht vergessen, dass zwei Drittel der legislativen Aufgaben von Brüssel bestimmt werden. Aber bei der Haushalts-, Familien- und Erziehungsdebatte geht es um nationale Kompetenzen. Da werden wir klarer herausstreichen, wie die CSV es angehen will, als es vorher der Fall war.

Es stehen einige gesellschaftspolitische Debatten an: über die Homo-Ehe sowie das Verhältnis von Kirche und Staat.

Das Gesetz zur Homo-Ehe wurde noch von François Biltgen eingebracht. Was das Verhältnis von Kirche und Staat angeht, war auch für uns klar, dass man nicht wie bisher weitermachen konnte. Aber wir werden uns klar positionieren, sobald der Vorschlag der Regierung vorliegt, wie weit wir mitgehen können. Für uns ist klar, mit allen kirchlichen Gemeinschaften Konventionen zu treffen – und dass der Religionsunterricht in der Grundschule erhalten werden muss. Auch in puncto Familienpolitik werden wir in einem Kongress diskutieren, wie wir uns die Familie vorstellen. Die Diskussion darf sich nicht nur auf das Kindergeld beschränken. Vieles greift in der Familienpolitik ineinander, das muss bleiben.

Bis jetzt sparten Sie noch mit Kritik an der Regierungspolitik.

In der Familienpolitik fehlt augenblicklich die Kohärenz. Und in der Finanzpolitik sind wir etwas überrascht. Vor den Wahlen waren wir die einzigen, die davon gesprochen haben, die TVA anzuheben. Überall hieß es, das komme nicht in Frage. Jetzt soll sie angehoben werden, auch die Zwischensätze. Wir wollten nur den Hauptsatz anheben. Wir sehen noch nicht, wo das große Sparmanöver sein soll.

Wie steht die CSV zur Mandatsbegrenzung sowie zur Trennung von Gemeinde- und Parlamentsmandat?

Der Wähler soll darüber entscheiden, ob jemand Minister bleiben soll. Wir haben schon erlebt, dass er einige Regierungsmitglieder bei Wahlen in die Wüste geschickt hat. Was die besagte Trennung angeht, sind wir dafür. Aber augenblicklich kann man sie bei 106 Bürgermeistern nicht durchführen. Man sollte die Fusionswelle vorantreiben, damit es zu noch größeren Gemeinden kommt und dass es eine Kammer gibt, in dem sich die Gemeindepolitiker einbringen können. Die Verbindung von unten nach oben ist noch immer die Urzelle unserer Gemeinschaft.

Wird die CSV konservativer?

Das glaube ich nicht. Wir stehen zu den Grundsätzen der christlichen Soziallehre. Die Stärke der CSV ist, dass sie über die Breite des Volkes verstreut ist. Ich glaube nicht, dass wir in eine konservative Richtung abdriften. Wir sind aber eine Wertepartei und bleiben es.

Quelle: Revue / Text: Stefan Kunzmann

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