Der pragmatische Visionär
Am 1. Oktober 2012 wird es sich zum 30. Mal jähren, dass der deutsche Bundestag Helmut Kohl zum Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt hat. Helmut Kohl wurde im Alter von 52 Jahren Bundeskanzler, nachdem er alle vorherigen politischen Stationen, unter anderem als CDU-Fraktionspräsident im rheinland-pfälzischen Landtag, Ministerpräsident seines Heimatlandes und Oppositionsführer im Bundestag erfolgreich gemeistert hatte. Seiner Partei, der CDU, hatte er seit 1973 als Parteivorsitzender einen konsequenten Reform- und Modernisierungskurs verschrieben.
Wer mit seinem Blick dem Weg von Helmut Kohl folgt und sich nicht von Klischees und Vorurteilen täuschen lässt, kommt nicht daran vorbei, vor einer mehr als beeindruckenden Lebensleistung den Hut zu ziehen.
Was Helmut Kohl zum Teil vollendet hat und was er zu einem grossen Teil selbst geschaffen hat, erscheint uns heute als selbstverständlich. Indes, nichts davon war selbstverständlich als er im Frühherbst 1982 sein Amt antrat. Der eiserne Vorhang war fest geschlossen und trennte Deutsche von Deutschen und Europäer von Europäern. Die wenigen, die 1982 angaben, die deutsche Einheit anstreben und Europa mit sich selbst versöhnen zu wollen, ernteten bestenfalls Kopfschütteln. Mit seinem Weitblick nahm Helmut Kohl eine Position ein, die nur von den Wenigsten geteilt wurde. Dass er von dieser Position und seinen festen Überzeugungen, was die Zukunft von Deutschland und Europa angeht, nicht abgerückt ist, obwohl es ihm vieles bedeutend erleichtert hätte, zeugt von charakterlicher Grösse.
Es ist und es bleibt die historische Meisterleistung von Helmut Kohl, dass er 1989, sieben Jahre nach Amtsantritt als Bundeskanzler die Wiedervereinigung seiner Heimat herbeigeführt hat, ohne dass das wiedervereinte Deutschland Europa aus seinem fragilen Gleichgewicht gebracht hätte und der europäische Einigungsprozess abgebrochen wäre.
Helmut Kohl hat mit Mut und mit Tatkraft, als die DDR implodierte, das geteilte Deutschland zusammengeführt. Er hat die Voraussetzungen geschaffen, damit, um mit Willi Brandt zu sprechen, das zusammenwächst, was zusammengehört. Mit seinem couragierten 10 Punkte-Pogramm unmittelbar nach dem Fall der Mauer hat Helmut Kohl zu verhindern gewusst, dass der Chor der Bedenkenträger und Zauderer die Aufbruchsstimmung und den Zukunftsoptimismus eines ganzen Volkes zu Verzagtheit und Kleinmut umpolt.
Helmut Kohl hat die Einheit innenpolitisch auf den Weg gebracht. Aussenpolitisch hat er es geschafft mit Geduld und einer tiefen Kenntnis der europäischen Geschichte, zu überzeugen, dass das wiedervereinte Deutschland keine Hegemonialbestrebungen verfolgt, sondern seine Zukunft im vereinten Europa sucht.
Die deutsche Einheit und die europäische Einigung, für Helmut Kohl so wie für Konrad Adenauer die zwei Seiten der gleichen Medaille.
Über die tiefen und persönlichen Gründe seines ausserordentlichen Einsatzes für das europäische Einigungswerk lässt sich nur mutmassen. Es ist anzunehmen, dass sich sein – im nobelsten Sinn des Wortes – Schaffenseifer für Europa aus mehreren Quellen gespeist hat. Die Geschichte seiner pfälzischen Heimat wird eine Rolle gespielt haben, die Pfalz, die ebenso wie das Elsass, Lothringen und Luxemburg während Jahrhunderten darunter litten, das Schlachtfeld der europäischen Grossmächte zu sein. Eine ganz besondere Bedeutung hatte zweifellos die Erinnerung an seinen Bruder Walter, der in den letzten Kriegsmonaten für ein verbrecherisches Regime geopfert wurde.
Heute mag man am Aufbau Europas an dem Helmut Kohl gemeinsam mit seinen europäischen Weggefährten, u.a. Jacques Santer und Jean-Claude Juncker, wirkte, herummäkeln. Doch wo würde Europa ohne Wirtschafts- und Währungsunion im fünften, aufeinanderfolgenden Krisenjahr stehen? Währungsturbulenzen und wieder hochgezogene Handelsschranken würden die europäische Wirtschaft und vor allem die deutsche Exportwirtschaft zu Boden drücken. Die Konsequenz wären massivste politische und soziale Verwerfungen mit unvorhersehbaren Folgen, Verwerfungen, vor denen auch Deutschland nicht gefeit wäre.
Deutschland braucht Europa und Europa braucht Deutschland. Dieser Ansatz von Helmut Kohl ist aktueller denn je und er muss offensiv vertreten werden, in Europa und besonders in Deutschland, gerade jetzt in dieser Zeit!
Helmut Kohl, der pragmatische Visionär, hat sich Respekt erarbeitet und Respekt verdient, in Deutschland, in Europa und in der Welt. Er hat einen entscheidenden Beitrag für die Wiedervereinigung seines Heimatlandes und ein solidarisch zusammenstehendes Europa geleistet. Es gilt darauf zu achten, dass das was Helmut Kohl mit aufgebaut hat, nicht verspielt wird.
Marc SPAUTZ
CSV Fraktionspräsident
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